Kosmopolitische Kunst aus Kiel

„Auch wenn meine Bilder in der ganzen Welt herumschwirren – ich bin ein Kieler Künstler!“, sagt der ehemalige Bochumer Jochem Roman Schneider und lacht dabei ein wenig verlegen.

Der 60-Jährige repräsentiert als Radierer und Grafiker die Kunstwelt einer ganzen Stadt und könnte aufgrund seiner Vita hohe Töne schlagen, doch er tut es nicht. Im Herzen ist er ein bodenständiger Mensch, der sich in den heimischen Gefilden wohl fühlt.

Der gebürtige Bochumer kam 1972 zum Studieren nach Kiel und besuchte bis 1977 die Muthesius Kunsthochschule in der Landeshauptstadt Schleswig-Holsteins. Hier begann seine Karriere, die sich heute wie eine Formvorlage für Studenten Bildender Kunst liest: Bereits in seinem zweiten Semester verkaufte er sein erstes Bild und direkt nach dem Abschluss – summa cum laude – eröffnete er seine eigene Galerie-Ausstellungen. Er arbeitet als freier Künstler und Galerist und kann bis heute mehr als 400 eigene Ausstellungen vorweisen.

Seine Kunst ist ein echtes Nischenprodukt, denn neben der Malerei auf Holz hat er sich der vom Aussterben bedrohten Ätz-Radierung verschrieben. Bei dieser Drucktechnik bearbeitet man eine mit Schutzlack beschichtete Kupferplatte mit einer Radiernadel. Auf diese Art entstehen Rillen und Punkte, die  nach dem Auffüllen mit Druckfarbe gedruckt werden. So entsteht das Negativbild von der Platte. Die Länge dieser Vorgänge hängt von der Größe der verwendeten Platte ab. Aufgrund von Spielereien mit weiteren Techniken, um beispielsweise bestimmte Flächen zu kolorieren, und mehrmaligem Drucken kann es bis zu zehn Wochen bis zu der Fertigstellung dauern.

Doch diese aufwendige Arbeitsweise entspricht ganz dem Naturell des Wahl-Kielers:

Schon während des Abiturs war ihm klar, dass er nur mit bildender Kunst seinen Lebensunterhalt verdienen möchte.

Und mit dem Berufswunsch fand er sich auch mit den finanziell implizierten Engpässen ab. „Ich wollte die Kunst nicht als Zweitberuf haben, sondern als meinen Lebensmittelpunkt“, erklärt er und verweist damit auf die geringe Zahl der freien Künstler, die allein von ihrer Leidenschaft leben können. Schneider fand einen Weg, die existenziellen Schwierigkeiten produktiv zu katalysieren: „Den Drang mich nur durch Kunst zu ernähren, habe ich in pure Kreativität umgesetzt. Je mehr ich unter Druck stand, desto besser konnte ich arbeiten.“ Es ist der Existenzialismus, nicht die materielle -Anerkennung, die ihn antreibt.

Im Studium und danach hat sich diese Energie im wahrsten Sinne ausgezahlt.

Als er als Galerist Bilder von Emil Schuhmacher in seiner Galerie Fischer Kiel ausgestellt hat, lernte er den berühmten deutschen Künstler sehr gut kennen und -bezeichnet ihn heute als Freund und Vorbild. Es folgten bis 1985 siebzig weitere -Ausstellungen (unter anderem von Andy Warhol und Cesar Manrique ) und eigene Expositionen seiner Portraits, Landschaftsbilder oder maritimen Impressionen auf Kupferplatte oder Holz. Im Jahr 2000 verkaufte Schneider seine Bildrechte an den Bio-Pharmakonzern ORGENTEC, der seine Exponate in über 80 Ländern zeigt.

Bis dato war er zwar in und über Kiel hinaus durch seine Einzelausstellung „Maritim-ART“ (2000) bekannt, doch erst 2002 wurde ihm offiziell das Prädikat „Kieler Künstler“ verliehen: Für das „Volvo Ocean Race“, eine internationale Segelregatta mit Ziel in Kiel, malte er Kieler Hafenmotive auf sechs Kupferplatten im Format 2 x 4 Meter und repräsentiert seitdem insbesondere die Stadt an der Ostsee.

Bereits in seiner Jugend begann seine Leidenschaft für unkonventionelle Farb- und Formkombinationen; die wilden Plattencover von Yes oder Genesis in den 1970 Jahren, die bizarren Werke Salvador Dalis und speziell die Kupferstiche Albrecht Dürers regten seine Fantasie an. Über Experimentieren mit diversen Techniken gelang Schneider zu der Radierung, in der er seine individuelle Ausdrucksmöglichkeit gefunden hat, all diese mannigfaltigen Kunstmerkmale zu paaren. Sein Stil ist realistisch, zum Teil surreal und immer eine Note exzentrisch, was aber sein Markenzeichen ist.

Neben den maritimen Segler- und Meer-Motiven, zeichnet er hauptsächlich Gesichter, „weil sich in ihnen alle Gefühle zeigen“ erklärt er. In seiner Fähigkeit, die Gesichter genau zu betrachten und auf dem schwierigen Untergrund der Druckplatte mit Strichen wiederzugeben, spiegelt sich sein Sinn für das Kleine. Schneider beobachtet. Er beobachtet das Verhalten der Menschen im Alltag, wenn sie zum Beispiel gerade an der Bushaltestelle stehen und man an ihren Gesichtszügen erkennt, dass sie nachdenken. Es sind die Sorgen des Fremden, welche sich in den Stirnfalten zeigen, die er einfängt. Auch er selbst kennt Sorgen; Sorgen, die sich durch das ständig krisenbehaftete Geschäft, in dem er arbeitet, -ergeben. Doch „ich habe mich an die Krisengefühle gewöhnt“, meint er und philosophiert über den Ruf des Berufs eines Künstlers: „Alle denken, Künstler zu sein bedeutet immer Geld, Party, Frauen und Ansehen, doch das ist nur selten der Fall.“ Mit diesem Beruf ginge man eine (lebenslange) Bindung ein, die genauso von Eigenmotivation, Nöten und Blockaden sowie Langeweile geprägt sei – man müsse das nur akzeptieren. „Das Gute ist, als Künstler kann man diese Stimmungen sofort kreativ umsetzen.“

Wenn er einen schlechten Tag hat, dann gibt er sich seinen Tagträumen hin, die für ihn einen Gegenpol zum „Funktionierenmüssen“ darstellen und sowohl Impulsgeber als auch eskapistische Flucht sind. Seine Liebe für Traumwelten und Wortspielereien kulminieren in der Kunst, aber auch in den Titeln seiner Bücher, die er „Tagträume“ (1985), „Panora-maritimes Kiel“ (2006) und „Sei Träumer ~ bleib Realist“ (2009) genannt hat. Auf 342 Seiten und 183 Farbbildern dokumentiert diese Monografie nach fast vier Jahrzehnten eine „Zwischenbilanz seines kreativen Schaffens“.

Seine Bilder sind immer eine Reproduktion seiner Innenwelt.

Neben den Gesichter, die meistens auf erotische Weise Frauen, aber auch Persönlichkeiten wie Albert Einstein porträtieren, fängt Schneider auch Landschaftseindrücke ein, in denen man sich aufgrund der Farb- und Motiv-Verknüpfungen verlieren kann.

Es sind die Kompositionen, die aus dem Affekt kommen und an denen man die Gefühlswelten des Künstlers erahnt, die seine Werke so tiefgründig machen.

Auf der Kieler Woche präsentierte er im Juni 2010 ausgewählte Portraits und Kieler Impressionen in der One-Man-Show „Mensch und viel Mee(h)r“.

Denise Carstensen

Redakteurin „ Die Welt “

Trilogie mit Kuttern

Ziel Kiel 2004