Husumer Nachrichten v. 12.06.2014, Seite 8
Historischer Törn
Tönning
„Wir dürfen nicht auf Schlick liegen im Hafen, dann kommen wir morgen nicht weg.“ Skipper Daniel Croze ist besorgt, denn der Tiefgang seines Seglers beträgt stolze 2,25 Meter, und morgen Mittag soll es weiter gehen nach Rendsburg. Die Mannschaft der Saint-Michel II aus Nantes ist dennoch bester Laune. Das Schiff, mit dem sie fahren, ist wahrlich nicht irgendeins.
Es ist der Nachbau der zweiten Yacht des berühmten Schriftstellers und Abenteurers Jules Verne (1828-1905), mit dem die Crew ihren Segeltörn vom französischen Nantes bis nach Kiel macht. Am 24. Mai starteten sie, um es ihrem großen Vorbild nachzutun, der allerdings mit seiner deutlich größerer Dampfyacht Saint Michel III im Jahr 1881 von Boulogne-sur-mer nach Kopenhagen fuhr. Dabei durchquerte das Schiff Schleswig-Holstein über Eider und Eiderkanal und kam so auch an Tönning vorbei.
Morgen geht es nun für die Mannschaft des Vereins La Cale 2 L’ile aus Nantes über den Gieselau-Kanal nach Rendsburg, weiter auf den Spuren von Jules Verne. In Kiel-Holtenau macht die beeindruckende Yacht dann am Sonnabendnachmittag gegen 16 Uhr am Tiessenkai fest. Dort gibt es dann ein Event. Zu beiden Seiten des Kanals, im Maschinenmuseum und im Zentrum Klassischer Yachtsport erwartet die Besucher Ausstellungen, Vorträge und Aufführungen unter dem Titel „Jules Verne in Kiel und auf dem Eiderkanal 1861 bis 1881“ (Programm unter www.maritimes-viertel.de). Federführend ist der Canal Verein, der sich durch die Restauration der historischen Schleuse des Eiderkanals einen Namen gemacht hat.
Das Wasser- und Schifffahrtsamt Tönning (WSA) sorgt dafür, dass der große, hölzerne Bretone die Eider auch passieren kann. Denn eigentlich reicht der Wasserstand bis zur Schleuse Nordfeld kaum aus. Entsprechend wird das Eidersperrwerk gefahren, damit die Franzosen immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel haben. Schon bei der Einfahrt in die Eider gestern musste der Zeitpunkt stimmen, denn nur auf dem Höhepunkt der Flut konnte das Schiff nach Tönning fahren.
Genau wie Jules Verne, der in Nantes geboren wurde, lieben die Männer an Bord das Meer und das Abenteuer. Neben dem ersten und zweiten Skipper Daniel Croze und Michel Pepin sind noch vier weitere Männer auf der Yacht, die einige von ihnen sogar mit gebaut haben und die 2011 fertiggestellt wurde. Alain Doaré ist der Chef des Vereins, der noch weitere Schiffe zu seiner Flotte zählt. Die Crew der 13,27 Meter langen und 3,52 Meter breiten Saint-Michel II kennt sich viele Jahre und weiß, sich zu nehmen. Alle sind bereits in Rente, aber sie alle sind frisch, agil und braungebrannt und wirken sehr jugendlich.
Nach dem Einlaufen im Tönninger Hafen, an dessen Kaimauer viele Gäste sie willkommen heißen, kümmert sich die Mannschaft erst einmal um das leibliche Wohl. Unter Deck kocht Patrick Legouadec eine Delikatesse aus der Region, aus der sie stammen. Die Kombüse verwandelt sich in ein kleines Gourmet-Bistro. Eigentlch könnten hier zehn Mann schlafen, so haben die sechs viel Platz. Jean-Pierre Bourgeois erzählt voller Leidenschaft, was es ausmacht, so eine Reise anzutreten. Es ist Abenteuer, Freiheit, Historie und die Freude am Segeln, die sie verbindet. Hartwig Reimann stammt eigentlich aus Kiel.
Jetzt ist er Teil der Crew. „Warum man nach Frankreich zieht“, fragt er lachend in die Runde, die munter diskutiert. Während der Seereise war die Stimmung immer gut, allerdings gab es nicht selten auch mal Gegenwind und dardurch einen Zwangshalt. Die Häfen, die sie passierten, waren unterschiedlich. Vor Le Havre liegen große Pötte, da ist Vorsicht geboten. Katastrophen blieben aber aus. Dennoch sind sie nicht leichtsinnig. Sie haben einen Defibrillator an Bord und wichtige Medikamente.
Auch Friedemann Prose ist inzwischen an Bord. Er ist Mitglied des Jules-Verne-Clubs und Initiator der Organisation „Maritimes Viertel“ in Kiel. Er gab mit den Impuls zu dieser Reise durch seine online-Publikation „Jules Vernes Reise zum Mittelpunkt des Nordens 1881“. Unter anderem schwärmte der Schriftsteller auch von Sonnenunter- und Sonnenaufgang in der Eidermündung. Ganz so viel Glück hatten die Reisenden jetzt nicht, die von Wilhelmshaven kommend die Nacht durchgesegelt waren. Den Sonnenaufgang konnten sie gestern nicht sehen, aber immerhin die untergehende Sonne. So, wie es Jules Verne beschrieben hatte.