Auszug:
Zur Geschichte des Kiel - Canal
Wilhelm Jensen (1889). Aus meiner Vaterstadt. Die Persianischen Häuser. Breslau
(bearbeitet und herausgegeben von Friedemann Prose, Juni 2011)
( In seinem Geschichtsroman stellt Wilhelm Jensen auch das frühe Schicksal der Idee dar, durch Schleswig und Holstein einen Kanal zu bauen, der die Nord- und Ostsee miteinander verbindet.)
An schulfreien Nachmittagen der guten Jahreszeit liefen wir gern nordwärts aus der Stadt durch einsame grüne Feldweiten, aus denen man fern auf die freie, blaue Ostsee hinaussah. Drei Viertelstunden brachten uns an den schleswig-holsteinischen oder Eider-Canal, der im Kieler Hafen beginnend und westwärts in den genannten Fluß einmündend, eine Wasserstraße für kleinere Fahrzeuge zwischen Ost- und Nordsee herstellt und zugleich die Grenze zwischen Schleswig und Holstein bildete.Kurze Zeit war er auch, im Jahre 1850, nach der Beendigung des ersten schleswig-holsteinischen Krieges, quasi die Scheidelinie zwischen Dänemark und Deutschland. Bis zur hohen politischen Entscheidung des Zukunftsschicksals der Herzogthümer standen drüben auf der schleswig´schen Seite die dänischen Wachtposten, und wir langgewachsenen Jungen machten uns mit Vorliebe das kindliche oder kindische Vergnügen, auf der holsteinischen Seite aus Leibeskräften „Schleswig-Holstein“ zu singen, oder nach dem alten Wort „Holsatia non cantat“, wohl mehr zu brüllen. Dabei zogen wir bis in die Mitte der Schleusenbrücke des Canals vor, so dass wir uns kaum auf Sprungweite von den geärgerten „tapperen Landsoldaten“ befanden, deren Ingrimm sie zu unserm Jubel manchmal fortriß, mit gefälltem Bajonett auf uns loszustürmen. Aber vor der Mittellinie über dem Wasser mussten sie Halt machen; wir liefen lachend auf holsteinischen Boden zurück, und sie konnten uns nur „Fordömmte Bängler!“ nachrufen, eine Bezeihnung, die uns eigentlich nicht gerade unverdient traf.
Um siebenunddreißig Jahre später vollzog dort der erste Kaiser des neuen deutschen Reiches, von allen Machtzeichen desselben umgeben, den ersten Hammerschlag zur Grundsteinlegung eines neuen, für die gewaltigsten Kriegsschiffe befahrbaren Canals, zwischen Nord- und Ostsee. Er stand auf der schleswig´schen Uferseite und kein dänischer Posten trieb ihn mit gefälltem Bajonett fort. Die Dinge au Erden sind der Wandlung unterworfen.
Wilhelm I
(Grundsteinlegung)
Um 110 Jahre früher aber stand der dänische König Christian VII. an der nämlichen Stelle, wie in unseren Tagen der deutsche Kaiser, um auch das Nämliche dort zu tun. Er eröffnete die damals beginnende Ausgrabung des Eidercanals, allerdings kaum anders, als durch seine körperliche Gegenwart, denn von geistigem Vermögen hatte der ihn umschleichende Wahnsinn bereits wenig mehr übrig gelassen. Ein Granitobelisk (Kanalpackhaus und Obelisk) neben der Ausmündung des Canals in den Kieler Hafen bewahrt das Gedächtnis des fernen Tages.
Der Nordrand des Canals, durch Hügel und Wälder gegen die scharfen Winde gedeckt, bildet ein halbes Stündchen lang etwas wie eine kleine schleswig´sche Riviera, die ersten und fast einzigen wildwachsenden Veilchen der Umgebung Kiels blühten dort in sonniger Stille und zogen mich als Knaben auch allein oft zu sich hinaus. Dann betrachtete ich zuweilen gleichfalls den Obelisken, dessen Bedeutung mir fremd blieb, bis mich einmal ein alter, unweit von ihm hausender Schiffer darüber unterrichtete. Er schloß seine Mitteilung über den Canalbau, den er noch als kleines Kind mit angesehen:
Christian VII
„Da weer all mal vörher Een, en König oder Hertog oder sowat, de wull dat ok all so maken mit dat Water twischen de Ost- un Westsee. Da keem awer nix davun na, man blot de Stadt Friedrichsstadt sitgünt anne Eider schall davun blewen sin, un denn de Persianischen Hüser an´n Kieler Markt.“
„De Persianischen Hüser ?“ fragte ich mit dem Eifer und Interesse, wie wenn die See mir plötzlich irgend ein fremdes Meerwunder vor die Füße ausgeworfen hätte. „Wat is dat damit ?“
„Ja, dat weet ik nich, min Grotvadder sin Vadder de hett noch davun wußt, un hett mit daran bu´t. Awer, leewer Gott, dat is ja nu all´lang her, dat kann ja keen Minsch in´n Kopp beholen.“
Im Verlaufe des Geschichtsromans erzählt Wilhelm Jensen die Ideengeschichte eines Canalbaus und der Persianischen Häuser an der Kieler Nikolaikirche. Sie wird in einem Gespräch zwischen Olearius und Paul Fleming wiedergegeben. Beide sind Teilnehmer der späteren Expedition nach Persien. Auf Schloss Gottorp in Schleswig hatte Herzog Friedrich die militärische Idee eines Feldherrn aufgegriffen und in eine große Vision blühender Handelswege verwandelt.
Die Überlegung, die Nord- und Ostsee durch einen Wasserweg quer durch die Cimbrische Halbinsel zu verbinden, hat einen alten Vorläufer. In der Nähe von Schloss Gottorp entstand bereits Ende des 7. Jahrhunderts eine Verbindung zwischen Haithabu, dem Handelsplatz der Wikinger an Schlei und Noor, mit dem Fluß Treene. Die Schiffe der Wikinger wurden über Land nach Hollingstedt am Fluß gerollt oder gezogen. Sie benutzten von dort den Wasserweg bis zur Eider, die in einem breiten Estuar in die Nordsee und somit in den Atlantik mündet. Herzog Friedrich knüpft an einen anderen Ursprung an:
Jener Gedanke aber war im Kopfe des Kaiserlichen Generalissimus Albrecht von Wallenstein (Bild) entsprungen, als er im Jahre 1628 seine fruchtlose Belagerung Stralsunds durch Erbauung einer Kriegsflotte im Hafen von Wismar zum Erfolg zu bringen suchte. Da hatte sein vielgrübelndes und weitdenkendes Gehirn den Plan erzeugt, eine Wasserverbindung zwischen der Ost- und Nordsee herzustellen, breit und tief genug, um seine Orlogschiffe hindurchzulassen und so mit ihnen beide deutschen Meere zusammt den Küsten derselben zu beherrschen. Doch von den Würfeln des Schicksals war dem neuen Herzog von Mecklenburg und „Generalcapitän der baltischen Armada“ nicht die Ausführung seines kühnen Entwurfes bestimmt gewesen, und was er für Schlachten und Eroberung ersonnen, das hatte Herzog Friedrich von Holstein-Gottorp in nicht minder beträchtlichem, ja noch erheblich weiter ausschauendem Plane zu einem solchen der Einigung und friedlicher Wohlfahrt der nordischen Völker, besonders jedoch des seinigen, umzuwandeln.
Herzog Friedrich III
Staunend hörte Fleming die zum Entschluß ausgereifte Absicht des Herzogs, vom Kieler Hafen einen Canal bis in das Bett der Eider zu graben, wo diese sich westwärts wendet, und so die von Wallenstein bezweckte Wasserstraße in´s Werk zu setzen. Er stand im Begriff, zu diesem Behufe gegen den Ausgang des Flusses eine neue Stadt, die seinen Namen tragen sollte, zu gründen und die Stadt Tönning an der unteren Eider zu einer starken Festung zu gestalten.
Allein nicht darin bestand das Überraschendste und Höchstfliegendste seiner Pläne, nicht in dem Entwurf, derartig Nord- und Ostsee, sondern vermittelst diese den fernsten Orient mit allen Ländern des Westens, hauptsächlich England zu verknüpfen. Sein Gedanke war, für Holstein die Erbschaft der traurig zu Grabe getragenen Hansa anzutreten, den ganzen Handel des Morgenlandes von seinen schwierig-gefährlichen Wegen, sei es durch´s rote Meer, sei es um das Cap der guten oder vielmehr recht üblen Hoffnung, abzulenken, ihn auf dem Überlandwege durch Russland und von einem Ostseehafen desselben aus nach Kiel zu ziehen. Dies sollte am Eingange des neuen Canals als großer Stapelplatz, als ein nordisches Handelsemporium aufwachsen, und zur Unterbringung der Waaren Indiens lag es in der Absicht des Herzogs, am Kieler Marktplatze vor der Nicolaikirche eine Reihe von Gebäuden als Lagerhallen zu errichten.
Zum Sammelplatze der morgenländischen Kostbarkeiten für jenen asiatischen Überlandweg hatte aber sein Nachsinnen Persien ausgewählt, und es galt vor Allem, dort in gleicher Weise wie hier, mit sicherer Grundmauerlegung für das kühne Gedankengebäude zu beginnen. Zu diesem Zwecke rüstete er eine glänzende Gesellschaft nach der persischen Hauptstadt Ispahan an den neuen jungen Beherrscher des Landes Sam Mirza, der seinem Ältervater Abbas dem Großen auf dem Thron gefolgt war und den Titel Schah Sofi angenommen hatte. Zuvor jedoch sollte eine kleinere Gesandtschaft über Reval nach Moskau an den russischen Zaren Michael Feodorowicz, den Schwager des Herzogs Friedrich, abgehen, um von ihm freien Durchlaß und freundwillige Unterstützung der nach Persien bestimmten Botschafter zu erbitten.
Zum baldigen Antritt dieser letzterwähnten Reise fand sich Alles schon bereitet; für beide Expeditionen indeß war Adam Olearius als Gesandschaftssecretär ausersehen und hatte seinen jungen Freund zum begleitenden Arzt derselben in Vorschlag gebracht. Dazu hatte der Herzog bereitwillgst seine Genehmigung erteilt; so vernahm Paul Fleming jetzt staunenden Ohres den Zweck seiner hiesigen Anwesenheit und das ihm für die nächsten Jahre Zugedachte.
(a.a.O., S. 21-24, 78-82)
Zur Vorbereitung der Expeditionen wird unter Führung von Herzog Friedrich eine Besichtigung des Ortes vorgenommen „ wo am Hafen der Ausgangspunkt des Canals zwischen Ost- und Nordsee vom Herzog festgelegt war“. Zusammen mit den ausgewählten Mitgliedern der Gesandtschaft nach Persien, manchen Adligen und einer erheblichen Anzahl der angesehensten Bürger Kiels begibt man sich den Strand entlang zu Fuß dorthin (s. Seite 108 f.)
Sie waren am Strand entlang unter dem Dorf Wyk (Wik) hin um die Ausbuchtung bis zu der Stelle vorgeschritten, wo das von Westen kommende Flüsschen Levensau in den Hafen einmündete und hier durch seinen kurzen Lauf die Grenze zwischen den Heogtümern Holstein und Schleswig bildete. Dies war der Platz, welchen der Herzog für den Beginn seines Canals in Aussicht genommen; alle mit ihm hierher Gewanderten schlossen nunmehr einen Kreis um ihn, und er erläuterte den Zuhörern in eingehender, sachkundiger Auseinandersetzung den Verlauf der zukünftigen Wasserstraße, sowie alle sich daran knüpfenden bedeutungsvollen Pläne. Besonders hatte es in seiner Absicht gelegen, die Gesandschaft vor ihrem Fortgang noch über die örtlichen Verhältnisse zu unterrichten, doch auch vor den Kieler Ratsmitgliedern und Zugehörigen des Gelehrtenstandes den Aufschwung zu entwickeln, zu welchem Stadt und Land durch das gewaltige Untenehmen gelangen würden, und sie zu möglichster Förderung desselben, wie es in ihren gemeinsamen Kräften und in denen jedes Einzelnen stehe, zu veranlassen.
Nachdem der Herzog so länger als eine Stunde trefflich und überzeugend gesprochen, brach er zum Rückzug auf und entbot dem Bürgermeister Burenäus an seine Seite, um, wie man vernahm, mit ihm eine Ratschlagung über den Bau der persianischen Lagerhäuser zu führen.
(S. 116 f.)
Was geschieht seit dem Fortgang der Gesandtschaft in Kiel ?
Der Herzog hielt Tag und Nacht die Gedanken auf sein großes Unternehmen verwandt und traf bereits alle für dasselbe zur Zeit möglichen Vorbereitungen. Nur mit dem Beginn des Canalbaus wollte er noch bis zum Einlauf der Nachrichten aus Ispahan zuwarten, doch hatte man schon angefangen, die Lagerhäuserreihe zwischen dem Markt und der Nicolaikirche zu errichten, und es sollte ihnen der Name der „Persianischen Häuser“ beigelegt werden. (S.215 f.)
Die erste Expedition zu den Moskowitern bricht auf. In Wilhelm Jensens Roman ist der historische Hintergrund eng verflochten mit einer tragischen Liebesgeschichte. Zwei Jahre später geht die zweite Expedition, diesmal nach Persien, auf Reisen.
Im ersten Oktoberbeginn, genau um die Zeit wie zwei Jahre zuvor, nur diesmal aus dem Hafen von Travemünde, brach die glänzend ausgerüstete Gesandtschaft des Herzogs Friedrich von Holstein-Gottorp- von einem förmlichen Heere von Pagen und Dienern, Musikern, Feldtrompetern, Feldscherer, Uhrmachern, Handwerkern aller Art, Trabanten, Lakaien, Köchen, Küchenschreibern, Schiffern, Bootsleuten und Dolmetschern begleitet- zum andermal auf, um in jetzigem Zuge wirklich an ihr Ziel bis nach Ispahan an den Hof des jungen Schah zu gelangen. (S. 212).
Gegen Ende des Geschichtsromans von Wilhelm Jensen nimmt das Leben der Hauptpersonen einen eher tragischen Verlauf.
Das aber, was mehr oder minder in die Lebensläufte aller Jener bestimmend engegriffen hatte, der große Plan des Herzogs Friedrich des Dritten von Holstein-Gottorp, was ward aus ihm ? Wir wissen nur, dass nichts daraus geworden, ohne eigentlich den Grund dafür angeben zu können. Oder vielleicht waren es ihrer zu viele Gründe, sowohl im Morgenland, wo der Schah Sofi bereits ein Jahr nach der Rückkehr der Gesandschaft in der Tat seiner Trunksucht erlag, als besonders im Abendlande, wo die geschichtlichen Ereignisse uns erklärend entgegenkommen.
Der dreißigjährige Krieg brach durch den Einfall der Schweden unter Torstenson nochmals verheerend wieder über Holstein, und ein anderer Krieg zwischen Dänemark und Schweden zog lange alle Länder an der westlichen Ostsee in Mitleidenschaft. Es war keine Zeit, um weiteres vozusehen und zu planen, als für den nächsten Tag; oder wenn ein besonderer Geist große, unkriegerische, vielleicht auch seltsam bedünkende Entwürfe in sich trug, so trat die Zeit doch einer Ausführungsmöglichkeit derselben gebieterisch entgegen. Und als dann nach dem späten Eintritt des Friedens, wie der Chronist schreibt, Herzog Friedrichs „Seele in die beglückte Ewigkeit gegangen war,“ wandte sein Sohn und Nachfolger Christian Albrecht sein Interesse völlig anderem Gegenstande, der Gründung einer Universität in Kiel zu.
Gewiß ist, dass damals kein Spatenstich zur Anlage einer Canalverbindung zwischen Ost- und Nordsee gemacht worden und dass die Persianischen Häuser meiner Vaterstadt niemals zwischen ihren Wänden indische Narden und Seidenballen, persische Teppiche und Naturerzeugnisse des Tropengürtels beherbergt haben. Von der hohen Phantasie ihres Erbauers für märchenhafte Zukunft bestimmt, sind sie dem Lose manches großen Gedankens, dem kleinen, praktischen Nutzen des Lebens anheimgefallen, der sich emsig in sie eingenistet und darin fortvererbt hat, wie Vogelgeschlechter aller Art in den Mauerhöhlungen zebrochener Burgen.
( S. 262-264).
Quelle:
Jensen, Wilhelm (1889). Aus meiner Vaterstadt. Die Persianischen Häuser. Breslau, Druck und Verlag von S. Schottlaender. 265 Seiten.
(bearbeitet und herausgegeben von Friedemann Prose, Juni 2011)
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