Krieg hinter der Wohlfühlfassade

Raffael Rheinsberg und Lilli Engel

stellen gemeinsam im Flandernbunker und in der Technischen Hochschule aus.

von Maren Kruse

Kieler Nachrichten, Donnerstag, 1.August 2013, S.18

Ersch.datum: 01.08.2013Ersch.objekt: KNErsch.seite: 18Ressort: KulAutor: kru

Kiel. Ein roter kunstlederbezogener Entspannungssessel steht im Flandernbunker wie
eine Einladung mit Stressless-Wohlfühlgarantie. Aber wer Raffael Rheinsberg und
Lilli Engel kennt, die hier gemeinsam ausstellen, weiß, dass hinter ihrer
Überschrift Schöne neue Welt eine kritische Kehrseite lauert. Morgen Abend um 19 Uhr
wird die Ausstellung im Bunker eröffnet. Eine weitere Raumarbeit zeigt das
Künstlerpaar unweit in der Technischen Marineschule in der Arkonastraße.

„Wieso haben wir so ein leichtes Grauen in uns?“, haben sich Lilli Engel und Raffael
Rheinsberg gefragt, als sie sich zur Vorbereitung ihrer Ausstellung im
Flandernbunker in dem ehemals von Marine und Kriegshafen dominierten Wiker Viertel
umsahen. Alles solle neuer, schöner werden, beschied man ihnen: Wohngebiet, mit
Parks statt Militärhafen, Einkaufen um die Ecke, Erholung und Kulturangebot. Dabei,
sagt Lilli Engel, die seit über zwei Jahrzehnten mit ihrem Lebensgefährten Raffael
Rheinsberg gemeinsame künstlerische Projekte realisiert, sei der Krieg doch noch
lange nicht erledigt. „Deutsche Soldaten mischen doch in der ganzen Welt mit“, sagt
Engel. „Tatsächlich leben wir nicht im Frieden, sondern im Krieg.“"

"Zur Veranschaulichung ihrer These, dass die Auslandseinsätze der Bundeswehr
gesellschaftlich weitgehend verdrängt werden, haben Rheinsberg und Engel die
„besenreinen“ und durch große bodentiefe Fensterflächen aufgeschickten Räume des
Flandernbunkers in eine modern möblierte Loftwohnung verwandelt. Zwischen senfgelber
Sofagarnitur, weißer Einbauküche, Esszimmer, Ehebett und Kinderspielecke haben sie
quadratische Bildformate platziert, die dezent mit weißen Tüchern verhängt sind. Der
Besucher darf und soll sie lüften und trifft unvermittelt auf Kriegsszenarien aus
Afghanistan, dem Irak, Mali oder anderswo. Flüchtende vor dem Hintergrund brennender
Städte, verwundete Kinder oder Kamele vor dem Feuerball einer Ölraffinerie – der
Kontrast zu den glatten Wohnwelten könnte kaum größer sein. Solch eine Konfrontation
als plakativ oder didaktisch zu empfinden, stört die Künstler nicht, im Gegenteil:
„Hinter unserer weiß getünchten Welt liegt die Realität“, sagen beide."

"Und für das Paar, das vor Jahren den Lebensmittelpunkt von Berlin in ein kleines
Hunsrück-Dorf verlegt hat, fängt eben diese Realität fast vor der Tür an. Im 80
Kilometer entfernten Koblenz, wo man die Einkäufe erledigt, kam Rheinsberg in einer
Kneipe beim Bier mit einem Afghanistan-Rückkehrer ins Gespräch. „Arm und Bein
amputiert und schwerst traumatisiert. Rückkehr in die Normalität ausgeschlossen.“"

"Jens Rönnau hat das Gemeinschaftsprojekt als Vorsitzender von „Mahnmal Kilian“
gemeinsam mit dem Verein „Maritimes Viertel – Kultur am Kanal“ organisiert. Seit
Langem arbeitet er an der Dissertation über Rheinsberg, die nun endlich parallel zur
Ausstellung als Katalog vorliegt. Rönnau und seine Mitstreiter haben für Schöne neue
Welt viele regionale Sponsoren gewonnen. Den Löwenanteil gab die Sparkassenstiftung.
Und es spricht für Rönnaus Überzeugungsarbeit, dass Firmen wie Möbel Brügge aus
Neumünster für die glatt polierten Requisiten in dieser schönen neuen Welt sorgen."

"Dass Rheinsberg und Kiel ein ganz besonderes Kapitel war, wird sicher auch in den
Reden morgen Abend anklingen. Denn beide, Stadt (1988) und später das Land
Schleswig-Holstein (1994), ehrten ihn mit ihren wichtigsten Preisen. Rheinsberg, der
die Dinge findet und sie zu Erinnerungsfeldern auslegt, die ganz sinnlich und ohne
konzeptuellen Überbau ihre eigenen Geschichten und das Vergessene ausloten, hat auch
in der Technischen Marineschule einen idealen Raum gefunden, der eine vergangene
Marine-Ära beschwört. Der Ort erzählt seine Geschichte gleich mit. Und das Gefühl
für die Heimatstadt? An der Hörn, wo Rheinsberg früher auf Schrottplätzen stöberte,
blinzelt man jetzt beim Wein in die Sonne. „Kiel ist eine starke Stadt geworden“,
sagt er. „Ob pleite oder nicht“.


 

Foto Marco Ehrhardt